SG126a
Verschränkung ©
H. Hübel Würzburg 2023
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Bei bestimmten Prozessen können gleichzeitig zwei Teilchen
mit nur wenig unterschiedenen Eigenschaften entstehen. Hat man einen
Prozess, bei dem zwei Photonen entstehen, so könnten diese z.B. stets entgegengesetzten
Impuls, also auch
entgegengesetzte Richtung, und
entgegengesetzten Drehimpuls (Polarisation) haben, wenn sie gemessen
sind. Abgesehen davon sind die Richtungen und Polarisationen, die man
bei einer Messung findet, dem Zufall unterworfen. Ohne eine
Messung sind sie offenbar nicht Eigenschaften des Systems. Bei anderen
Prozessen könnten auch Photonen mit gleicher Polarisation entstehen.
Hat man einen Prozess, bei dem zwei Elektronen entstehen,
so könnten diese - wenn sie gemessen sind - in gleicher Weise z.B. stets
entgegengesetzten Impuls,
also auch entgegengesetzte
Richtung, und entgegengesetzten Drehimpuls (Spin)
haben, bei anderen Prozessen auch gleichgerichteten.
Aber das Phänomen ist noch komplexer als bisher
beschrieben:
Betrachten wir jetzt nur den Drehimpuls (Spin
bzw. Polarisation), im Bild charakterisiert durch den blauen
Pfeil. Bei derselben Quelle und auch sonst gleichen Umständen
finden wir nach einer Messungen zufällige Messwerte, aber
immer so, dass der Gesamtdrehimpuls 0 ist. Ganz entsprechend
finden wir beide Teilchen unter zufälligen Richtungen, aber
immer so, dass beide Teilchen entgegengesetzt sind und den
Gesamtimpuls 0 ergeben.
Das gilt sogar, wenn die Messungen an den beiden Teilchen
beliebig weit voneinander entfernt erfolgen, so weit sogar und
so schnell, dass kein Lichtstrahl genügend Zeit hätte,
Richtung und Drehimpuls eines Teilchens an das andere
mitzuteilen.
Wenn an dem einen Teilchen ein aufwärts gerichteter Drehimpuls
gemessen wird, ist instantan (ohne Zeitverzug) klar, dass das
andere Teilchen den dazu passenden Drehimpuls
hat. Findet man das eine Teilchen unter einer bestimmten
Richtung, ist instantan klar, dass das andere Teilchen unter
entgegengesetzter Richtung gefunden wird. Man sagt, die
Messungen seien "korreliert" (aufeinander bezogen).
Man liest häufig, dass diese Gemeinsamkeit selbst dann
auftritt, "wenn die beiden Teilchen beliebig weit voneinander
entfernt sind", also z.B. an entgegengesetzten Rändern unseres
Weltalls, so dass sie auf keinen Fall durch eine
Wechselwirkung voneinander erfahren können.
(Aber eine solche Sprechweise ist irreführend, weil ja
die Teilchen ohne eine Messung keinen Ort haben. Die Aussage
bezieht sich also auf die hypothetischen Orte der
Messgeräte. Ebenso irreführend ist der Hinweis auf eine
angebliche "spukhafte Fernwirkung", die es offenbar
nicht gibt.)
Auch ist die Vermutung falsch, dass die beiden Teilchen schon vor und bei ihrer Entstehung die korrelierten Eigenschaften haben könnten.
Aber gesichert ist, dass während des gesamten Erzeugungsprozesses des Teilchenzwillings und auch schon vorher Erhaltungssätze weiterhin gültig geblieben sind, also in unserem Beispiel der Impulserhaltungssatz und der Drehimpulserhaltungssatz. Der Teilchenzwilling entstand aus einem System, bei dem bereits der Gesamtimpuls 0 und der Gesamtdrehimpuls 0 vorhanden war. In anderen Fällen spielen andere Erhaltungssätze eine Rolle.
Man musste akzeptieren, dass hier eine neue Eigenschaft von Quantensystemen bzw. ein neuartiges Quantenobjekt beschrieben wird, während Einteilchen-Eigenschaften der beiden Mitglieder des Zwillings erst bei ihrer Messung und damit der Zerlegung des verschränkten Zustands in Einzelteilchen entstehen. So etwas gibt es in deiner Erfahrung und der klassischen Physik nicht:
Verschränkte Zustände (verschränkte Systeme) sind nichtklassische Quantenobjekte, die über die Eigenschaften des Gesamtzustands definiert sind. Nur der Gesamtzustand hat einige wenige Eigenschaften wie Gesamtimpuls oder Gesamtspin. |
Audretsch spricht von einem "Stoff fast ohne Eigenschaften". Für ihn gelten die "Geburtsurkunde verschränkter Systeme" und der "Dreiklang verschränkter Systeme" (beides von mir so genannt).
Deswegen sollte man m.E. nicht von "verschränkten Teilchen" sprechen, weil diese vor einer Messung von Einteilchen-Eigenschaften nicht existieren. Vor der Messung von Einteilchen-Eigenschaften existierte in diesem Zusammenhang aber der "verschränkte Zustand" oder das "verschränkte System".
Die "Geburtsurkunde" legt die Eigenschaften des Gesamtzustands fest, die von seiner "Geburt" an über seinen "Tod" hinaus gültig sind, also auch nach der Zerlegung in Einteilchen-Zustände bei einer Messung von Einteilchen-Eigenschaften. |
Vielfach in Form von Erhaltungssätzen legt sie die möglichen Kombinationen von Einteilchen-Zuständen nach einer Messung fest. Wenn der Gesamtimpuls des verschränkten Zustands 0 ist, müssen entsprechend der "Geburtsurkunde" auch die Einteilchen-Zustände mit entgegengesetzten Impulsen gemessen werden, ganz gleich unter welchen Impulsrichtungen.
Der "Dreiklang verschränkter Systeme" besagt, dass in vielen Fällen verschränkte Systeme aus Einteilchen-Zuständen entstehen, aber nicht aus einzelnen Teilchen bestehen, jedoch bei einer Messung von Einteilchen-Eigenschaften in Einteilchen-Zustände zerfallen (gemäß der "Geburtsurkunde"). |
(Es gibt auch andere verschränkte Zustände, die nicht aus individuellen Teilchen entstehen. Ein Beispiel sind verschränkte Zustände zwischen Spin und Bahndrehimpuls des Elektrons einer Atomhülle, oder, genau genommen, die Atomhülle selbst. Aus meiner Sicht ist das der Grund, weshalb man "Verschränkbarkeit" nicht als eine spezielle Eigenschaft von einzelnen Teilchen ansehen sollte. Es gibt auch verschränkte Zustände, die aus verschiedenartigen Teilchen entstanden, z.B. aus einem Photon und einem Atom. Immer ist es so, dass man nach einer Messung Eigenschaften des einen Teilchen kennt, wenn man die des anderen gemessen hat. Die Eigenschaften des Verschränkten Zustands gemäß der Geburtsurkunde müssen eingehalten werden.)
Hinweis: Auf diesen Seiten
werden die quantenphysikalischen Begriffe "be-stimmt" und "un-be-stimmt"
immer entgegen der Duden-Vorschrift mit Bindestrich geschrieben um jede
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( Januar 2023 )